Welche Strategien gibt es denn gegen das pausenlose To-do-Listen erstellen im Kopf?
Patricia Cammarata: Mental Load gehört zu unserem Leben. Wenn man es mal runterbricht, dann bedeutet Mental Load, dass man ständig den Alltag daraufhin abscannt, was eigentlich zu erledigen ist, und daraufhin Pläne entwickelt. Solche Entscheidungen zu treffen und dann auch umzusetzen, ist ein ganz normaler Prozess und sorgt auch erst mal zu keiner Überbelastung oder Krankheit. Problematisch wird es, wenn die eigenen Ressourcen nicht so unendlich vorhanden sind, wie die To-do-Listen lang sind. Dann müssen Eltern dringend die Pausentaste drücken und versuchen, den Kopf freizubekommen. Das setzt aber voraus, dass es eine andere erwachsene und kompetente Person gibt, die diese Themen auch kennt und nahtlos übernehmen kann.
Kann man das lernen?
Patricia Cammarata: Paare können das auf jeden Fall üben – etwa indem die Person, die hauptsächlich für die Familienaufgaben zuständig ist, selbst für kürzeste Zeiträume Übergaben macht und es sich auch wirklich mal erlaubt, sich von den Bedürfnissen anderer freizumachen. Am besten funktioniert das, wenn diese Person nicht in den eigenen vier Wänden ist. Diese sind ja der Arbeitsplatz, an dem Sorgearbeit geleistet wird und wo sich andere Menschen mit ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen quasi ständig der Ressourcen dieser Person – meistens, so zeigt es die Statistik, ist dies die Frau – bedienen.
Das heißt:
Wer den Kopf freibekommen möchte, muss die Wohnung verlassen – zum Beispiel einem Hobby nachgehen, das außerhalb der Wohnung stattfindet. Das machen Männer übrigens sehr viel öfter als Frauen. Auch mal alleine oder mit Freundinnen statt der Familie in den (Kurz)-Urlaub zu fahren, kann eine echte Auszeit bedeuten. Es muss übrigens nicht immer der Partner sein, der die sich dann auftuende Lücke füllt – auch die Eltern oder eine Freundin kann in der Zeit dieser Pause Aufgaben übernehmen.
Wichtig ist es, dass die Dinge dann auch erledigt sind und sich nicht aufgetürmt haben. Sich diese Räume zu nehmen, fällt nicht jedem leicht. Aber man kann es lernen.
Wann kann man davon sprechen, dass Aufgaben wirklich gerecht verteilt sind?
Patricia Cammarata: Das ist tatsächlich nicht eine Frage der Quantität, sondern des Empfindens. Menschen haben ja unterschiedliche Ressourcen und ein unterschiedliches Gerechtigkeitsgefühl. Damit beide in der Partnerschaft eine ähnliche Idee davon haben, was für sie „Gerechtigkeit“ bedeutet und wie sie in ihrer Situation umzusetzen ist, können sie nur herausfinden, wenn sie regelmäßig darüber im Austausch sind. Was gibt es alles zu tun? Wer kann was machen? Und damit die Belastung auch ganz aus dem Kopf verschwindet, sollte man die Aufgabe auch komplett an den Partner oder die Partnerin übergeben.
Es geht also nicht nur um das eigentliche Durchführen der Aufgabe, sondern um den ganzen Prozess: vom Planen und Initiieren bis zu eventuell auch im Anschluss anfallenden Folgeaufgaben und offenen Punkten. Dazu gehört es notfalls auch, für Ersatz zu sorgen oder einen Plan B zu haben, wenn die einst gemachten Pläne mal nicht aufgehen – was im Familienalltag ja durchaus vorkommen kann. Grundsätzlich gibt es keine allgemeingültige Lösung, sondern nur Einzelfall-Lösungen, die man mit dem Partner oder der Partnerin besprechen sollte.
Was hat Mental Load mit Erschöpfung zu tun, bzw. was sind eigentlich die Folgen, wenn es zu viel wird?
Patricia Cammarata: Mental Load hat sehr viel mit Erschöpfung zu tun – schließlich ist man ja ständig auf Empfang und kann diesen kaum abschalten. Auch in den Situationen, in denen man vielleicht Freizeit hat – also abends auf dem Sofa oder selbst, wenn man schläft – sind die To-do-Listen wieder da, sobald man die Augen aufschlägt. Sofort rattert der Kopf wieder los. Diese Pausenlosigkeit ist das, was sehr viele Menschen, die die mentale Hauptlast in der Familie tragen, sehr erschöpft. Die lässt sich übrigens auch durch einen Urlaub nicht abschalten. Im Gegenteil: Wer mit Kindern in den Familienurlaub fährt, weiß genau: Die Sorgearbeit ist weiterhin zu leisten – nur eben an einem anderen Ort. Möglicherweise macht es das sogar noch schwerer. Die Soziologin Franziska Schutzbach nennt diesen Zustand, der viele an die Grenzen der Erschöpfung bringen kann, „radikale Pausenlosigkeit“.
Generell geht es beim Thema Mental Load um die Nutzung der Ressource Zeit. Hängt der Mental Load vor allem an der Person, die schon sehr stark mit der Sorgearbeit für andere Menschen beschäftigt ist, ist es natürlich schwierig, Zeit und Energie für Erwerbsarbeit aufzubringen. Viele – vor allem Mütter – versuchen, sich davor auch zu schützen, indem sie dann eben „nur“ in Teilzeit arbeiten. Weil Führungspositionen heute auch noch oft an Präsenzzeiten gebunden sind und oft außerhalb der regulären Kinderbetreuungszeiten stattfinden, trauen sich viele Frauen heute die besser bezahlten Führungspositionen gar nicht zu. Sie sind für sie quasi nicht mach- oder organisierbar.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Wertschätzung und Anerkennung?
Patricia Cammarata: Burn-out kommt nicht nur von der Menge an zu bewältigenden Aufgaben, sondern tatsächlich auch von der Qualität der wahrgenommenen Wertschätzung. Das heißt: Das Risiko ist vor allem dann hoch, wenn es wenig bis keine Wertschätzung für die Planung und Umsetzung der Aufgaben gibt.
Wie auch etwas anerkennen, was unsichtbar ist? Was man oder frau alles im Kopf wälzt, kann man von außen ja nicht sehen. Folglich fehlt es oft an Lob, Anerkennung, Dankbarkeit und Wertschätzung. Bei der Erwerbsarbeit haben wir als Mindestwertschätzung immerhin das Gehalt. Sorgearbeit ist kostenlos – daher gibt es dafür noch nicht mal das Minimum an Wertschätzung. Dass die anfallenden Aufgaben und die damit verbundene Last in keiner Form sichtbar sind, ist ein großes Problem.
Wie profitieren Kinder davon, deren Eltern sich mit dem Thema Mental Load auseinandersetzen?
Sie lernen, dass
bestimmte Aufgaben nicht geschlechtsgebunden sind – eine große Erleichterung für ihr späteres Leben. Wenn Kinder
Vorbilder haben, die ihnen zeigen, dass handwerkliche oder fürsorgliche Tätigkeiten nicht daran gebunden sind, dass sie entweder von einem Mann oder einer Frau übernommen werden, können sie das für ihr Leben gut gebrauchen. Sehr wahrscheinlich entwickeln sie eine
höhere Sensibilität und auch
höhere eigene Ansprüche an Beziehungen, die sie selbst in ihrem späteren Leben eingehen.