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      Mental Load

      Mental Load: Was hilft Eltern gegen den unsichtbaren Stress?

      Kinder, Küche und Kalender – Eltern haben viel zu tun. Was nicht zu sehen ist, nennt sich Mental Load, die unsichtbare Gedankenarbeit des Alltags. Was können Eltern tun, damit diese Last nicht zur Belastung wird? Und wie hängen Mental Load und Gleichberechtigung zusammen? Welche Tipps sind im Familienalltag erprobt, damit niemand in die Mental-Load-Falle tappt? All das erfahrt ihr hier.

      Montag morgen, 7:45 Uhr. Höchste Zeit fürs Frühstück, in einer halben Stunde startet schon der Morgenkreis in der Kita. Und im Büro steht direkt um 8:30 Uhr ein wichtiger Termin an. Zum Glück ist der Dreijährige gut gelaunt aus dem Bett gekommen, Zähneputzen und Anziehen hat auch geklappt. So kann es weitergehen. Kurz mal durchatmen.

      Ein Kaffee wäre gut, und für das Kind das Lieblingsmüsli bitte. Oh je, die Vorratsdose ist verdächtig leicht. Haben wir etwa beim Einkauf am Wochenende Nachschub vergessen? Dabei stand das Müsli doch auf jeden Fall auf der (digitalen) Einkaufsliste. Stand es doch, oder? Wer hat vergessen, es einzutragen? Egal, eine Alternative muss her, und zwar schnell. Doch auch der Brotkasten ist leer, ein trockenes Knäckebrot wird bockig abgelehnt. Mit der Aussicht auf ein Rosinenbrötchen beim Bäcker ziehen wir los. Der Kaffee steht noch unberührt auf dem Küchentisch. Dort wird er auch abends noch stehen.

      Mutter mit Baby
      Situationen wie diese passieren. Jeden Morgen, überall. Sie zeigen deutlich, wie viel wir im Kopf haben müssen, damit unser Alltag reibungslos läuft. Kommen Kinder in die Familie, scheinen sich diese Dinge zu verhundertfachen. Dazu kommt die Verantwortung. Für uns selbst können wir Dinge mal aufschieben, bei Kindern wird das eher schwierig. Und so machen wir uns den ganzen lieben langen Tag Gedanken. Gedanken über Alltäglichkeiten wie „Ich muss dringend Wäsche waschen“ oder „Wir müssen noch die nächsten Vorsorgetermine beim Kinderarzt vereinbaren“ bis zu Grundsätzlichem, zum Beispiel, was eine „gute“ Mutter eigentlich ausmacht und wie wir diesen Ansprüchen genügen können.

      Wir wissen: Sich diese Gedanken zu machen, ist das eine. Sie mit allen Konsequenzen auszuführen, das andere. Das klassische Gedankenkarussell, für das wir mit der Geburt unserer Kinder anscheinend eine Dauerfahrkarte gelöst haben. Es hält nur an, wenn wir selbst den Stoppknopf (sehr fest!) drücken und hoffentlich jemand anderes unseren Platz einnimmt. Damit wir mal an nichts denken müssen.

      Eine, die sich um alles kümmert

      Wir, das sind übrigens meistens Frauen in heterosexuellen Kleinfamilien. Studien wie die Vermächtnisstudie 2023 bestätigen, was wir im Alltag bereits spüren: Es sind meistens Frauen, die den Laden namens Familie am Laufen halten. Sie sind es, die sich meistens um die Geschenke bei Familien- und Kindergeburtstagen kümmern, die überlegen, was eingekauft wird und auf den Tisch kommt, wer wann wohin muss und wie das alles bewerkstelligt werden kann.

      Es ist nicht so, dass Männer gar nicht über den Haushalt und Familienalltag nachdenken. Das tun sie schon, nur eben deutlich weniger als ihre Partnerinnen. In der Liste von insgesamt 21 Dingen, die geplant und im Auge behalten werden müssen, liegen drei überwiegend oder ausschließlich in der Verantwortung von Männern: Reparaturen, Handwerker und Finanzen. Diese Dinge fallen meist nicht täglich an. Die Gedankenarbeit fair zu verteilen, ist wichtig – denn zu viel Mental Load belastet und kann krank machen. Und es ist die Grundlage für Gleichberechtigung in der Kleinfamilie, in der jeder seinen Teil der Verantwortung trägt und nicht der eine dem anderen hilft.

      Was können Eltern tun, damit ihr Mental Load nicht zur Belastung wird?

      Patricia Cammarata ist Diplompsychologin und gefragte Keynote-Speakerin zum Thema Vereinbarkeit und Gleichberechtigung. Mit ihrem Buch „Raus aus der Mental Load- Falle“ („Spiegel“-Bestseller 2020) hat sie den Begriff „Mental Load“ im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht und eine gesellschaftliche Debatte über Gleichberechtigung angestoßen. In „Musterbruch – Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung“ („Spiegel“-Bestseller 2024) gibt es Tipps und Ideen, wie wir aus eingefahrenen Geschlechtermustern in Partnerschaft, Sorge- und Erwerbsarbeit ausbrechen können.

      Es gibt einige Sätze, die Eltern, meistens Mütter, rund um Mental Load und gerechte Arbeitsteilung immer wieder hören.

      Was ist deine Antwort auf Aussagen wie die folgenden, und wie ordnest du diese ein? 

      „Du hast einfach zu hohe Ansprüche an alles. Du und dein ewiger Perfektionismus!“

      Patricia Cammarata: Ich glaube, dass das Wort Perfektionismus ganz oft falsch verwendet wird. Es ist beispielsweise kein Perfektionismus, wenn man möchte, dass ein Fiebersaft an einem ganz bestimmten Ort in der Wohnung steht und immer vorrätig ist. Das ist vielmehr eine Prozessoptimierung, die auf Erfahrungswerten beruht, wie es ist, wenn ein Kind mit Fieber mitten in der Nacht aufwacht und man dann sehr lange eben diesen Fiebersaft suchen muss. Und was das dann für alle Familienmitglieder bedeutet, die am nächsten Morgen aufstehen müssen.

      Die meisten Themen, bei denen man von übertriebenem Perfektionismus spricht, fallen meiner Meinung nach in diese Kategorie. Jemand hat aus einer langjährigen Erfahrung einen Prozess optimiert und besteht aus Gründen auch darauf, dass dieser so eingehalten wird – so wie in der Erwerbsarbeitswelt.

      „Wir haben das früher auch hinbekommen und uns nicht beschwert!“

      Patricia Cammarata: Das stimmt nur in einem gewissen Rahmen. Die Frage, ob sich wirklich nicht beschwert wurde, sei mal dahingestellt. Es gab ja kein Social Media oder eine ähnlich einfache Möglichkeit, mit der Eltern schnell und unmittelbar ihre Nöte und ihre Überlastungen schildern und teilen konnten. Außerdem muss man sich in diesem Zusammenhang auch fragen, unter welchen Bedingungen frühere Eltern-Generationen „es denn hinbekommen“ haben? Vor allem, was die Vorstellungen von Kindererziehung angeht, hat sich ja sehr viel geändert. Früher hat man zum Beispiel Kinder viel früher sich selbst überlassen, wenn es nötig war. Belastungen führten auch an vielen Stellen – und weil der gesetzliche Rahmen ja noch ein ganz anderer war – zu ganz anderen Auswirkungen. Stichwort: Gewalt gegen Kinder. Ein ganz wichtiger Punkt an dieser Stelle ist auch der: Vor wenigen Jahrzehnten hat es finanziell durchaus gereicht, dass es in der Familie eine Erwerbsperson und eine Sorgeperson gab. Dafür reichte das Einkommen. Heutzutage ist ja in der Regel, vor allen in Großstädten, mehr als ein Einkommen nötig, um zum Beispiel die hohen Mieten zu zahlen. Das führt zu einer Doppelbelastung: Neben der Erwerbsarbeit muss auch noch die Sorgearbeit erledigt werden. Das ist der springende Punkt, ob man „es hinbekommt“ oder eben nicht.

      „Warum hast du denn nichts gesagt! Ich hätte dir doch helfen können?“

      Patricia Cammarata: Solange eine Person den Mental Load der ganzen Familie trägt, kommt es zu einer Hierarchie in der Beziehung. Verteilt man nur die To-dos, entlastet das denjenigen nicht wirklich. Darüber wird sich ja auch oft ein bisschen lustig gemacht. Wer sagt, „Meine Frau ist bei uns die Chefin“, macht sich selbst zum Hilfsarbeiter in seiner eigenen Familie. Es ist doch paradox, wenn jemand zu seinem Partner/seiner Partnerin sagt, „Warum hast du nichts gesagt?“, aber sich gleichzeitig auch beschwert: „Die ganze Zeit verlangst du von mir, dass ich irgendwelche Sachen erledigen soll und bestehst dann auch noch darauf, sie auf eine bestimmte Art und Weise zu machen.“ Mit einem „Lass mich mal machen“ ist es leider meistens auch nicht getan, denn dann passieren manche Sachen erst gar nicht. Wer nicht hauptverantwortlich für die Sorgearbeit ist, hat vieles nicht im Blick. Insgesamt führen solche Aussagen also nicht wirklich zu Lösungen.

      Die wenigsten Eltern ahnen vor der Geburt ihres ersten Kindes, wie viel und was sie ab jetzt immer und rund um die Uhr im Kopf haben müssen. Können sie sich darauf eigentlich irgendwie vorbereiten?

      Patricia Cammarata: Studien zeigen, dass wir an neuralgischen Punkten in unserem Leben oft keine konkreten Pläne machen und die Dinge vorher aushandeln, sondern uns eher auf bereits ausgetretene Wege begeben. Für das Familiegründen bedeutet dies, dass viele Paare langsam und unbewusst in eine traditionelle Rollenverteilung rutschen. Erst nach und nach wird ihnen klar, was alles für das Familienleben zu tun ist, und so landen diese Aufgaben meistens bei der Person, die weniger Erwerbsarbeit leistet. Sich darauf vorzubereiten, funktioniert nur über den regelmäßigen Austausch mit anderen Eltern. So muss nicht jedes Elternpaar eine eigene Lösung erfinden, sondern kann gegebenenfalls auf bewährte Lösungen zurückgreifen.

      Was auch wichtig ist: eine höhere Transparenz zu schaffen. Elternschaft jenseits von Werbedarstellungen mit allzeit glücklichen Babys und Eltern darzustellen. In Vorbereitungskursen beschäftigen sich werdende Eltern vor allem mit der Geburt und den ersten Wochen mit Baby. Aber was ist mit der Zeit danach? Es ist keine schlechte Idee, die großen Punkte und To-dos immer mal wieder durchzusprechen – auch bereits vor der Geburt.
      Mutter und Kind in der Küche

      Welche Strategien gibt es denn gegen das pausenlose To-do-Listen erstellen im Kopf? 

      Patricia Cammarata: Mental Load gehört zu unserem Leben. Wenn man es mal runterbricht, dann bedeutet Mental Load, dass man ständig den Alltag daraufhin abscannt, was eigentlich zu erledigen ist, und daraufhin Pläne entwickelt. Solche Entscheidungen zu treffen und dann auch umzusetzen, ist ein ganz normaler Prozess und sorgt auch erst mal zu keiner Überbelastung oder Krankheit. Problematisch wird es, wenn die eigenen Ressourcen nicht so unendlich vorhanden sind, wie die To-do-Listen lang sind. Dann müssen Eltern dringend die Pausentaste drücken und versuchen, den Kopf freizubekommen. Das setzt aber voraus, dass es eine andere erwachsene und kompetente Person gibt, die diese Themen auch kennt und nahtlos übernehmen kann.

      Kann man das lernen?

      Patricia Cammarata: Paare können das auf jeden Fall üben – etwa indem die Person, die hauptsächlich für die Familienaufgaben zuständig ist, selbst für kürzeste Zeiträume Übergaben macht und es sich auch wirklich mal erlaubt, sich von den Bedürfnissen anderer freizumachen. Am besten funktioniert das, wenn diese Person nicht in den eigenen vier Wänden ist. Diese sind ja der Arbeitsplatz, an dem Sorgearbeit geleistet wird und wo sich andere Menschen mit ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen quasi ständig der Ressourcen dieser Person – meistens, so zeigt es die Statistik, ist dies die Frau – bedienen.

      Das heißt: Wer den Kopf freibekommen möchte, muss die Wohnung verlassen – zum Beispiel einem Hobby nachgehen, das außerhalb der Wohnung stattfindet. Das machen Männer übrigens sehr viel öfter als Frauen. Auch mal alleine oder mit Freundinnen statt der Familie in den (Kurz)-Urlaub zu fahren, kann eine echte Auszeit bedeuten. Es muss übrigens nicht immer der Partner sein, der die sich dann auftuende Lücke füllt – auch die Eltern oder eine Freundin kann in der Zeit dieser Pause Aufgaben übernehmen.

      Wichtig ist es, dass die Dinge dann auch erledigt sind und sich nicht aufgetürmt haben. Sich diese Räume zu nehmen, fällt nicht jedem leicht. Aber man kann es lernen.

      Wann kann man davon sprechen, dass Aufgaben wirklich gerecht verteilt sind?

      Patricia Cammarata: Das ist tatsächlich nicht eine Frage der Quantität, sondern des Empfindens. Menschen haben ja unterschiedliche Ressourcen und ein unterschiedliches Gerechtigkeitsgefühl. Damit beide in der Partnerschaft eine ähnliche Idee davon haben, was für sie „Gerechtigkeit“ bedeutet und wie sie in ihrer Situation umzusetzen ist, können sie nur herausfinden, wenn sie regelmäßig darüber im Austausch sind. Was gibt es alles zu tun? Wer kann was machen? Und damit die Belastung auch ganz aus dem Kopf verschwindet, sollte man die Aufgabe auch komplett an den Partner oder die Partnerin übergeben.

      Es geht also nicht nur um das eigentliche Durchführen der Aufgabe, sondern um den ganzen Prozess: vom Planen und Initiieren bis zu eventuell auch im Anschluss anfallenden Folgeaufgaben und offenen Punkten. Dazu gehört es notfalls auch, für Ersatz zu sorgen oder einen Plan B zu haben, wenn die einst gemachten Pläne mal nicht aufgehen – was im Familienalltag ja durchaus vorkommen kann. Grundsätzlich gibt es keine allgemeingültige Lösung, sondern nur Einzelfall-Lösungen, die man mit dem Partner oder der Partnerin besprechen sollte.

      Was hat Mental Load mit Erschöpfung zu tun, bzw. was sind eigentlich die Folgen, wenn es zu viel wird?

      Patricia Cammarata: Mental Load hat sehr viel mit Erschöpfung zu tun – schließlich ist man ja ständig auf Empfang und kann diesen kaum abschalten. Auch in den Situationen, in denen man vielleicht Freizeit hat – also abends auf dem Sofa oder selbst, wenn man schläft – sind die To-do-Listen wieder da, sobald man die Augen aufschlägt. Sofort rattert der Kopf wieder los. Diese Pausenlosigkeit ist das, was sehr viele Menschen, die die mentale Hauptlast in der Familie tragen, sehr erschöpft. Die lässt sich übrigens auch durch einen Urlaub nicht abschalten. Im Gegenteil: Wer mit Kindern in den Familienurlaub fährt, weiß genau: Die Sorgearbeit ist weiterhin zu leisten – nur eben an einem anderen Ort. Möglicherweise macht es das sogar noch schwerer. Die Soziologin Franziska Schutzbach nennt diesen Zustand, der viele an die Grenzen der Erschöpfung bringen kann, „radikale Pausenlosigkeit“.

      Generell geht es beim Thema Mental Load um die Nutzung der Ressource Zeit. Hängt der Mental Load vor allem an der Person, die schon sehr stark mit der Sorgearbeit für andere Menschen beschäftigt ist, ist es natürlich schwierig, Zeit und Energie für Erwerbsarbeit aufzubringen. Viele – vor allem Mütter – versuchen, sich davor auch zu schützen, indem sie dann eben „nur“ in Teilzeit arbeiten. Weil Führungspositionen heute auch noch oft an Präsenzzeiten gebunden sind und oft außerhalb der regulären Kinderbetreuungszeiten stattfinden, trauen sich viele Frauen heute die besser bezahlten Führungspositionen gar nicht zu. Sie sind für sie quasi nicht mach- oder organisierbar.

      Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Wertschätzung und Anerkennung?

      Patricia Cammarata: Burn-out kommt nicht nur von der Menge an zu bewältigenden Aufgaben, sondern tatsächlich auch von der Qualität der wahrgenommenen Wertschätzung. Das heißt: Das Risiko ist vor allem dann hoch, wenn es wenig bis keine Wertschätzung für die Planung und Umsetzung der Aufgaben gibt.

      Wie auch etwas anerkennen, was unsichtbar ist? Was man oder frau alles im Kopf wälzt, kann man von außen ja nicht sehen. Folglich fehlt es oft an Lob, Anerkennung, Dankbarkeit und Wertschätzung. Bei der Erwerbsarbeit haben wir als Mindestwertschätzung immerhin das Gehalt. Sorgearbeit ist kostenlos – daher gibt es dafür noch nicht mal das Minimum an Wertschätzung. Dass die anfallenden Aufgaben und die damit verbundene Last in keiner Form sichtbar sind, ist ein großes Problem.

      Wie profitieren Kinder davon, deren Eltern sich mit dem Thema Mental Load auseinandersetzen?

      Sie lernen, dass bestimmte Aufgaben nicht geschlechtsgebunden sind – eine große Erleichterung für ihr späteres Leben. Wenn Kinder Vorbilder haben, die ihnen zeigen, dass handwerkliche oder fürsorgliche Tätigkeiten nicht daran gebunden sind, dass sie entweder von einem Mann oder einer Frau übernommen werden, können sie das für ihr Leben gut gebrauchen. Sehr wahrscheinlich entwickeln sie eine höhere Sensibilität und auch höhere eigene Ansprüche an Beziehungen, die sie selbst in ihrem späteren Leben eingehen.
      Familie

      5 Mental-Load-Tipps von Eltern für Eltern

      1. Testet euren Mental Load

      Wer macht was? Sich das bewusst zu machen, ist der erste Schritt, Mental Load gerecht aufzuteilen. Der zweite: das Aushandeln, wer welche Aufgaben in Zukunft übernimmt – und zwar die gesamten Zuständigkeitsbereiche. Dafür könnt ihr verschiedene Tools nutzen, um die Aufgaben und ihre (möglicherweise) ungerechte Verteilung sichtbar zu machen. Unser Tipp: Der Mental-Load-Selbsttest der Initiative „Equal Care”.

      2. Kommt ins Gespräch

      Nachdem ihr aufgelistet habt, welche Aufgaben anstehen – regelmäßig oder sporadisch –, und alle wissen, was dafür zu erledigen ist, ihr diese eventuell neu verteilt oder ganz ausgelagert habt, könnt ihr einmal in der Woche die kommende Woche und anstehende Termine sowie Aufgaben detailliert durchsprechen. Nach der Planung und Durchführung kommt die Rückschau: Lasst zum Beispiel einmal im Monat die letzten Wochen Revue passieren. Was lief gut, was nicht? Wo und wann gab es zu hohe Belastungen? Hat etwas viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als zuvor angenommen wurde? Was sollte beachtet werden, wenn die Aufgabe wieder ansteht? Ist diese Aufgabe bei der richtigen Person platziert, fühlt sich diese damit wohl, oder macht ein Verantwortungswechsel Sinn?

      3. Teilt eure Kalender

      Papierkalender am Kühlschrank? Schön und gut, aber den habt ihr selten dabei. Legt daher einen digitalen Kalender an und teilt diesen unbedingt mit eurem Partner oder eurer Partnerin. So habt ihr den kompletten Überblick über Geburtstage, Kita- oder Schultermine, Feste, Urlaube etc. und könnt wiederkehrende Termine als Serienereignisse anlegen und jederzeit bearbeiten.

      4. Macht‘s euch leicht(er)

      Ihr werdet es euch selbst (oder natürlich eurem Partner oder eurer Partnerin) danken: Habt kleine Geschenke und Mitbringsel, Postkarten, Geschenkpapier, -tüten immer vorrätig, auch wenn es noch gar keinen konkreten Anlass gibt. Der wird kommen, keine Sorge! Auch in der Küche ist vorausschauendes Handeln Gold wert. Denn wer kennt ihn nicht, den Stress, wenn am Montagmorgen frisches Brot zum Frühstück fehlt und somit in den Kita-Brotdosen gähnende Leere herrscht? Um das zu vermeiden, friert Brotscheiben oder Pfannkuchen auch portionsweise ein – im Toaster sind sie ruckzuck aufgetaut.

      5. Achtet auf euch

      Und am Schluss das Wichtigste: Achtet auf euch und eure eigenen Ressourcen sowie auch die des Partners bzw. der Partnerin. Lernt, auch mal Nein zu sagen, wenn ein Termin einfach nicht mehr in den Alltag passt. Auch kurzfristig. Am besten schiebt ihr dann keine Ausrede vor, sondern sagt einfach ganz ehrlich: „Es passt grad leider nicht. Ich muss etwas schauen, dass mir unser Terminkalender nicht über den Kopf wächst“. Das verstehen wir doch eigentlich alle, oder?

      Blick in die Statistik zur Gleichberechtigung bei Care-Arbeit

      • 43 % der befragten Mütter nennen „weniger Zeit für sich selbst” als größte Belastung durch die Planung und Organisation des Familienlebens. Diesem stimmen 27 % der Väter zu.¹

      • 89 % der befragten Frauen denken an die Kleidung der Kinder, 70 % an Geschenke, 66 % an Geburtstage. Um Reparaturen (44 %), Handwerker (56 %) und Rechnungen (47 %) kümmern sich vorwiegend Männer – Aufgaben, die meist nicht täglich anfallen.²

      • 74 % der Männer sind mit der Aufteilung von Planung und Organisation in ihrer Familie zufrieden, bei den Frauen sind es 53 %.³

      • Männer glauben häufiger als Frauen, dass die Arbeit in der Paarbeziehung von beiden im gleichen Umfang erledigt wird, während Frauen häufiger der Meinung sind, in vielen Bereichen die Aufgaben überwiegend allein zu stemmen.⁴

      • In Paarhaushalten mit jungen Kindern verbringen Frauen sonntags mit Hausarbeit und Kinderbetreuung knapp vier Stunden (drei Stunden und 54 Minuten) mehr als ihre männlichen Partner. In Paarhaushalten mit älteren Kindern (sieben bis 18 Jahre) sind es immerhin noch zwei Stunden und 48 Minuten mehr. In Paarhaushalten ohne Kinder beträgt der Unterschied 36 Minuten.⁵

      • Der Zeitaufwand für unbezahlte Arbeit steigt durch die Anwesenheit von kleinen Kindern stark an – an Wochentagen wie an Sonntagen. Anders als an Wochentagen, an denen die Summe von unbezahlter und bezahlter Arbeit bei Männern und Frauen etwa gleich ist, leisten Frauen an Tagen mit wenig oder keiner Erwerbstätigkeit deutlich mehr (unbezahlte) Arbeit.⁶
      Vater mit Kind

      Was hat Gleichberechtigung mit Mental Load zu tun?

      Der Titel deines neuen Buches, „Musterbruch“, verspricht überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung. Kannst du eine im Kontext von Mental Load und Elternschaft verraten?

      Patricia Cammarata: Ein großes Problem ist die Hierarchie in unserer Gesellschaft. Weil Frauen oft eher im Privaten wirken, werden sie in der Außenwelt weniger wahrgenommen und berücksichtigt als Männer. Dadurch haben sie nicht die gleichen Möglichkeiten und geraten durch die erhöhte Übernahme von Sorgearbeit auch öfter in eine finanzielle Abhängigkeit. Ein großer Mechanismus, der dieses Ungleichgewicht aufrechterhält, ist aber auch das Verhalten von Frauen untereinander. Wir sollten uns bewusst werden, dass die eigentliche Kraft, diese Hierarchien abzubauen, auch darin liegt, dass wir uns mit anderen Frauen und Müttern verbünden.

      Dazu gehört es auch, die Belastungen von Elternschaft sichtbar zu machen und uns zu unterstützen, statt uns gegenseitig kritisch zu beäugen und zu bewerten. Frauen haben in unserer Gesellschaft leider nie so richtig gelernt, miteinander solidarisch zu sein. Dadurch werden sie allerdings unbewusst zu Hüterinnen des Patriarchats und sorgen dafür, dass das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern erhalten bleibt.

      Welche Denkmuster stehen dem Umgang mit Mental Load im Weg?

      Patricia Cammarata: Also in erster Linie sind das tatsächlich auch oft die eigenen Vorstellungen davon, was eine gute Frau oder eine gute Mutter ausmacht. Für viele sind es Attribute wie Fürsorglichkeit, Beziehungsarbeit und oft auch eine gewisse Aufopferungsbereitschaft. Oft übernehmen wir schon im vorauseilenden Gehorsam viele Dinge selbst, ohne dass uns das von außen gesagt wird.

      Es hilft darum schon, sich mehr daran zu orientieren, welche Fähigkeiten und Talente wir selbst haben, um das eigene Frauenbild zu verändern. Wer sich und seine Bedürfnisse ernst nimmt, achtet auch auf Erholungsphasen, um sich die Energie wiederzuholen, die es braucht, den ganzen Alltagsaufgaben auch nachzukommen.

      Wie kann man diese Muster denn nachhaltig und langfristig brechen, ohne das Gefühl zu haben, gegen Windmühlen kämpfen zu müssen?

      Patricia Cammarata: Weil in unserer Gesellschaft Gleichberechtigung so erst mal gar nicht vorgesehen ist, werden eher Familienmodelle gefördert, bei denen sich Paare in eine Sorgeperson und eine Erwerbsperson aufteilen, zum Beispiel durch das Steuerrecht. Gleichzeitig werden andere Dinge gar nicht erst berücksichtigt, zum Beispiel die hohen Mieten. In Ballungsgebieten kann das dann dafür sorgen, dass eine andere Aufteilung als diese auch gar nicht möglich ist. Und mit der Doppelbelastung kommt dann auch dieses Windmühlengefühl.

      Ich glaube, es ist wichtig, dass sich Paare früh genug klarmachen, dass dadurch viele Frustmomente oder auch Wut aufeinander entstehen kann. Das ist nur leider total falsch adressiert! Paare müssen lernen, Schulter an Schulter gegen das Problem anzugehen und es nicht als Problem untereinander zu sehen. Es ist mir aber auch wichtig zu sagen, dass Menschen nicht nur durch ein individuelles Aushandeln erreichen können, nicht erschöpft zu sein.

      Natürlich hängt das auch von verschiedenen Privilegien ab, die Paare haben – oder eben nicht. Wer finanziell gut dasteht, kann sich Entlastung kaufen – zum Beispiel durch eine Putzkraft, einen Staubsaugerroboter, eine Babysitterin oder Essen gehen im Restaurant.

      Wie gleichberechtigt können wir eigentlich leben? Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Voraussetzungen dafür?

      Patricia Cammarata: Eine wichtige Voraussetzung für Gleichberechtigung ist es, dass sich Frauen gleichwertig zu Männern fühlen. Doch in der Öffentlichkeit entsteht dieser Eindruck erst gar nicht, zum Beispiel durch unser Bildungssystem. Die wichtigen Persönlichkeiten, die wir kennenlernen, die Autoren, die Erfinder etc. sind ja in der Regel Männer.

      Dadurch lernen Mädchen und junge Frauen schon sehr früh, dass Frauen anscheinend für die Gesellschaft nichts Großartiges leisten – zumindest nicht sichtbar. Den Kontext, dass sehr viele Frauen durch die Sorgearbeit so belastet sind, dass sie eben nur sehr schwer kreativ und frei arbeiten können, haben viele nicht.

      Und so können Männer ganz anders leben als Frauen, weil ihnen von ihren Partnerinnen der Rücken freigehalten wird. Netzwerke zwischen Frauen und ebenso zwischen Frauen und Männern, die für Gleichberechtigung stehen, spielen hier ebenfalls eine große Rolle. Leider haben wir keine gute Kultur darin, unsere gemeinsamen Ziele zu erkennen.

      Welche Rolle spielt bei den Themen Sorgearbeit, Mental Load und Gleichberechtigung unsere Familienpolitik?

      Patricia Cammarata: Unsere aktuellen politische Maßnahmen sind an einem erwerbsarbeitszentrierten Standard ausgerichtet. Dabei wird völlig übersehen, dass Sorgearbeit natürlich weiterhin stattfinden muss und für unser eigenes Leben und für eine lebenswerte Gesellschaft von immenser Bedeutung ist. Noch gibt es viele Hindernisse, die dazu führen, dass die Sorgearbeit immer wieder in den Hintergrund gedrängt wird, und damit dann auch die ganzen finanziellen Nachteile. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Gender Lifetime Earning Gap“ – aufs Leben gesehen verdienen Frauen durch die unbezahlte Sorgearbeit, die sie leisten, viele hunderttausend Euro weniger als Männer. Im Zweifelsfall führt diese finanzielle Abhängigkeit zur Altersarmut vieler Frauen. Wer Zeit seines Lebens den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit übernommen hat, bekommt dafür nur sehr wenige Rentenpunkte.

      Die Statistik zeigt: Auch an erwerbsarbeitsfreien Tagen übernehmen Frauen im Schnitt deutlich mehr Sorgearbeit als ihre Partner. Warum ist das so?

      Patricia Cammarata: Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir stets versuchen, in unseren Geschlechterrollen zu leben. Und diese wollen uns sagen, dass es zum Beispiel nicht weiblich ist, sich hauptsächlich um die Erwerbsarbeit zu kümmern. Frauen entwickeln dadurch die Sorge, dass sie ein nicht-einheitliches Bild ihrer Geschlechtsidentität erzeugen. Sie lernen von klein auf, dass sich Frauen viel mehr für die Familienaufgaben zuständig fühlen und es gewohnt sind, immer zu wissen, was überhaupt zu tun ist. Männer haben in ihrer Sozialisation eine ganz andere Ausrichtung erlebt. Das heißt: Der größte Hebel ist eine Veränderung der Geschlechterrollen.

      Ist Mental Load also ein Frauenproblem? Oft scheint es, dass Männer sich diesen Stress gar nicht erst machen, sie zum Beispiel viel mehr im Moment leben.

      Patricia Cammarata: Wenn man sich die statistische Verteilung anschaut, dann sieht man klar: Frauen fühlen sich hauptsächlich für die Sorgearbeit zuständig, haben nicht nur die Aufgaben in der Gegenwart im Kopf, sondern auch die der Zukunft. Sie wissen, was alles liegen bleibt, wenn sie bestimmte Dinge nicht tun. Sie wissen, wie unbeständig ein Familienalltag sein kann, und dass es sich manchmal eben auch rächt, wenn man Dinge jetzt nicht macht, sondern auf später schiebt.

      Sie wissen vor allem aber auch, wer dafür be- und verurteilt wird, wenn Dinge nicht so funktionieren oder nicht zu 100 Prozent erfüllt sind. Männer haben sehr viel größere Freiräume, wie sie Dinge tun, als Frauen und werden dafür sogar gelobt. Wenn ein Mann ein Kind mit schmutziger Wäsche oder zwei unterschiedlichen Socken in die Kita bringt, dann kann er immer noch erwarten, dass sich viele freuen, dass er sich neben seiner Erwerbsarbeit überhaupt um seine Kinder kümmert. Tut eine Frau genau dasselbe, wird sie dafür ganz anders beurteilt. Das wissen Frauen und richten sich danach aus. In vorauseilendem Gehorsam beugen sie sich dem – viel mehr noch: Sie berücksichtigen das alles vorab schon und haben es bereits im Kopf. Der perfekte Nährboden für noch mehr Mental Load.

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